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Gern würde ich meinen Namen preisgeben. Mit etwas Glück kann ich es gegen Ende des Jahres tatsächlich tun. Jetzt aber stehen mir noch einige schwere Wochen bevor. Gerade hat wieder mein Zimmervermieter an die Tür geklopft: Er kriegt noch hundert Dollar von mir. Die Überweisung kommt frühestens nächste Woche – über einen Mittelsmann.
Wenn alles gut geht, kann ich bald endlich ausreisen aus Pakistan, wo ich seit fast einem Jahr mehr warte als zu leben – ohne Geld, ohne Job, ohne Familie und jetzt, hoffentlich nur für kurze Zeit, sogar ohne Pass.
Aus meiner Heimat Afghanistan musste ich schon fort, bevor dort im Sommer 2021 die Taliban wieder an die Macht kamen. Der Grund war ausgerechnet meine bisher erfolgreichste Reportage, eine Sendung, die vom Zentrum für investigativen Journalismus als “jahresbeste” ausgezeichnet wurde. Im Jugendgefängnis von Mazar-i-Sharif hatte ich einen 13-jährigen Jungen kennengelernt, der angeblich am Tod eines kleinen Mädchens schuld sein sollte. Ich konnte es nicht glauben, wühlte mich in den Fall und deckte auf, dass der Junge Opfer einer bösen Familienintrige war.
Der Junge kam frei, die wahren Täter wurden verurteilt. Aber die Familie schwor Rache. Vor unserem Haus platzierten sie eine Mine. Als mich ein Schuss ins Bein traf, beschlossen mein Vater, meine Brüder und ich zu flüchten.
Journalistin wollte ich schon werden, als es scheinbar nicht die geringste Chance dafür gab. Als jüngste Tochter musste ich zu Hause in Kunduz meine gelähmte Mutter pflegen. Zum Lohn erlaubte mir mein Vater, zur Schule zu gehen. Sogar studieren ließ er mich – Betriebswirtschaft; nicht gerade mein Wunschfach, aber besser als nichts.
Ein Journalist, den ich zufällig kennenlernte, lud mich zu einem Seminar ein. Dann ging alles sehr flott: Ich übernahm die Leitung eines kleinen Lokalradios und bald, nachdem dem Eigentümer das Geschäft nicht mehr lukrativ genug war, auch dessen Konzession. Nachfragen, aufklären, Gerechtigkeit herstellen: Ich genoss alle Freiheiten, hatte alle Möglichkeiten. Dachte ich.
Gerade als mein und unser Leben bedroht war, brach Corona aus. Man kam über keine Grenze, an Visa war nicht zu denken. So vertrauten wir uns Schleppern an – mein kranker, gebrechlicher Vater, zwei meiner Brüder, eine Schwägerin und deren sechsjähriger Sohn. Schon der erste Versuch, über Pakistan und Iran in die Türkei zu kommen, war ein Alptraum. In Pakistan hielten Banditen das Auto an, raubten uns alles, was wir bei uns trugen, und ließen uns in der Wüste zurück. Unterwegs stießen wir auf die verwesende Leiche eines jungen Mannes, der es nicht geschafft hatte. Nach 18-stündigem Fußmarsch, dem Verdursten nahe, landeten wir auf einer Polizeizeistation und wurden zurückgeschickt.
Ein zweiter Versuch verlief zunächst glücklicher: Ein Marsch durch die Berge führte uns nach Mashhad im Nordosten des Iran. Weiter gehen sollte es über den Süden nach Teheran. Die Reise endete bei Shiraz durch einen Verkehrsunfall, bei dem meine Schwägerin schwer verletzt wurde. Ein Auto, das neben uns fuhr, ging in Flammen auf. Die Polizei behandelte uns anständig, schob uns aber gnadenlos zurück. Die schrecklichen Bilder von den brennenden Menschen im Auto wollen mir nicht aus dem Kopf.
Zurück, das hieß: nach Afghanistan. Nach Mazar-i-Sharif konnten wir nicht mehr. So lebten wir unerkannt in Kabul, bis die Amerikaner gingen und die Taliban kamen. Anfangs, im allgemeinen Chaos, war es für einzelne mit etwas Glück noch möglich, mit einem pakistanischen Visum über die Grenze zu kommen – etwa für medizinische Behandlung. So habe ich es – alleine allerdings – nach Islamabad geschafft. Ich bin zunächst in einem Gästehaus untergekommen. Als dort auf einmal ein fremder Mann in der Tür stand, musste ich wieder weg. Inzwischen habe ich ein billiges Zimmer mit einem gutmütigen Wirt.
Das Geld ging zur Neige, das Visum lief ab, und mein netter Vermieter kann mir meinen Aufenthalt nicht auf Dauer stunden. Urdu, die Landessprache, habe ich einigermaßen gelernt in dem guten Jahr, in dem ich hier jetzt abhänge. Aber viel hilft mir das nicht. Für eine alleinstehende Afghanin ohne rechtmäßigen Aufenthaltsstatus sind die Aussichten hier verzweifelt. Alle möglichen europäischen Botschaften habe ich abgeklappert; die österreichische, die deutsche, spanische, niederländische – alles aussichtslos. Niemand will Afghanen.
Eine junge Frau aus Herat, die ich in Islamabad kennenlernte und die nach langem Warten und Bangen nach Deutschland ausreisen konnte, vermittelte mir einen Kontakt zu deutschen Journalisten, die ihr geholfen hatten. Sie sind jetzt mein einziger Rettungsanker. Einer hat es geschafft, eine Aufnahmezusage für mich ausgerechnet aus dem ärmsten Land Europas zu bekommen - aus dem Kosovo.
Ich wäre glücklich, wenn es funktionieren würde! Nur hat Kosovo keine Vertretung in Pakistan. Das zugesagte Visum müsste ich mir in Istanbul holen. Die Türkei aber lässt mich nicht ins Land. Jetzt versuchen wir es über Kuriere. Ohne die Hilfe von JhJ in Deutschland wüsste ich nicht, was ich tun könnte.
Aufgezeichnet für eine anonym bleibende afghanische Kollegin von Norbert Mappes-Niedeck, Graz
Wir bedanken uns für die Spenden.
Und wir hoffen auch im Jahr 2025 auf finanzielle Unterstützung, damit wir unsere Arbeit für verfolgte und gefährdete Kolleginnen und Kollegen aus Krisengebieten fortsetzen können, die um ihre berufliche Existenz und ums Überleben kämpfen.