Möglichkeiten und Grenzen der Hilfe für afghanische KollegInnen
Ein Erfahrungsbericht von
Helga Montag
„ It is heartbreaking...“ - das hat uns eine Kollegin über die Situation der Frauen und Männer aus Afghanistan geschrieben, die sich in ihrem Heimatland verstecken müssen oder vor der Verfolgung der Taliban geflüchtet sind und um das schiere Überleben kämpfen. It is heartbreaking – das empfinde ich jeden Morgen, wenn ich meine Mails öffne und darin wieder mehrere Hilferufe aufploppen. Seit Monaten geht das nun so. Die Not und Bedrängnis, von der ich lese, ändern ihr Erscheinungsbild, kleiner werden sie nicht, im Gegenteil.
Angefangen hat alles mit einer jungen Journalistin, die sich aus Pakistan meldete, weil sie zwar in Dubai eine Behandlungsmöglichkeit gegen ihre Krebserkrankung gefunden hatte, sie aber nicht bezahlen konnte. Alles war penibel dokumentiert. Ihr Lebenslauf war perfekt: Abgeschlossenes Studium, Berufserfahrung in verschiedenen Medien, Pressearbeit, Aus- und Fortbildung für den Nachwuchs, Engagement für ein friedliches und demokratisches Afghanistan. Wir von JhJ beschlossen, sie zu unterstützen. Ihren Wunsch, nach Deutschland zu kommen, wo sie die Behandlung fortsetzen könnte und Bekannte hätte, konnten wir nicht realisieren. Denn das deutsche Aufnahmeprogramm für gefährdete Personen richtet sich nur an AfghanInnen in Afghanistan und schließt Menschen aus, die schon in Nachbarländer wie Pakistan oder den Iran flüchten konnten.
Wir waren erstaunt, wie gut die Kommunikation mit afghanischen KollegInnen klappte. Wir wollten wenigstens unsere Solidarität und Empathie gegenüber den Menschen zeigen, denen der Umsturz und die Rückkehr der Taliban ihre Existenzgrundlage geraubt hatte und die im Nachbarland zu überleben versuchten. Seither hat sich ein reger Mailwechsel zwischen Pakistan und München entwickelt. Persönliche Briefe in meist in hervorragendem Englisch, im Anhang Fotos, Zeugnisse, Empfehlungsschreiben, medizinische Befunde. Immer wieder die Bitte um Aufnahme in ein sicheres Land. Jede Mail – ein Schicksal.
Allerdings müssen wir die meisten Hoffnungen enttäuschen. Wir müssen zurückschreiben, dass unsere Organisation nicht in der Lage ist, die Bitte um „relocation“ und „resettlement“ zu erfüllen. Wir wiederholen unzählige Male, dass kaum Visa vergeben werden, dass das deutsche Aufnahmeprogramm nicht greift und noch nicht mal in gang gekommen ist. Das einzige, was wir tun können, ist in krassen Fällen Nothilfe zu leisten. Wir haben medizinische Behandlungen ermöglicht, wir haben Mütter mit ihren Neugeborenen unterstützt. Wir konnten verhindern, dass Familien die Wohnung verlieren. Wir haben für die Verlängerung von Visa bezahlt. Wir überbrücken manchmal die schwierige Zeit, bis zum Beispiel von Frankreich ein humanitäres Visum gewährt wird. In Ausnahmefällen geben wir Geld, damit ein gefährdeter Kollege, der sich noch in Afghanistan verborgen hält, fliehen kann.
Am Anfang konnten wir die Mails noch sehr individuell beantworten. Inzwischen sind es so viele, dass wir das nicht mehr schaffen. Die Verzweiflung ist groß bei den Geflüchteten. Die Mittel sind aufgebraucht, die Armut wächst, der Hunger geht um. Die pakistanischen Visa laufen aus. Es wird schon von Abschiebungen zurück nach Afghanistan berichtet, wo die Taliban immer brutaler werden und die Regimegegner und ihre Familien verfolgen und bedrohen.
Aus vielen Mails spricht die Enttäuschung derer, die mit großen Ambitionen journalistisch gearbeitet haben, sich für Frauen- und Menschenrechte eingesetzt hatten und auf Frieden und demokratische Verhältnisse hinarbeiteten. Sie fühlen sich allein gelassen. Den meisten fehlt eine Perspektive und ein Ausweg.
Es gibt Tage, an denen würde ich am liebsten keine Mails aus Pakistan und Afghanistan mehr öffnen. Und tue es dann doch. „It is heartbreaking“ - hat die JhJ-Kollegin geschrieben, dann hat sie eine Spende auf den Weg gebracht.
„Man kann mit einer Bratpfanne nicht das Meer ausschöpfen, aber das, was man schöpft, ist auch Meer.“ Diese überlieferte Weisheit hat uns vor 30 Jahren ein Kollege aus Ex-Jugoslawien bei der Gründung des Vereins Journalisten helfen Journalisten e.V. mitgegeben. Sie tröstet uns manchmal ein bisschen, sie motiviert uns bis heute.