Man sollte ehrlich sein. Srebrenica ist heute eine vergessene Episode. Ihrer gedenken nur noch Betroffene – Betroffene im engeren Sinn wie im erweiterten Sinn. Also auch Journalisten, Humanitäre, sicher auch die Pathologen aus Tuzla, manche niederländische Soldaten, vermute ich, einige UN-Mitarbeiter, sicher Frau Madelaine Albright, die persönlich, sozusagen im Alleingang durch bosnische Wälder gegangen war, um sich Massengräber anzuschauen. „Sekundäre Massengräber“ – auch dieses Wort hatten wir damals gelernt!
Heute nach 25 Jahren ist ein Weltereignis eine „bosnische Sache“ geworden, enger noch, auch in Bosnien eine muslimische, fast interne Angelegenheit einer Bevölkerungsgruppe. Dabei – ich erinnere – ist Srebrenica ein Erdbeben der Stärke zehn gewesen, der Aufschrei weltweit und so lautstark, dass das Wort Aufschrei einmal wirklich stimmte: Die NATO setzte sich in Bewegung, dem amerikanischen Präsidenten Bill Clinton bebten quasi die Lippen, der Internationale Gerichtshof führte die vermutlichen wie tatsächlichen Täter jahrelang erbarmungslos vor. Ein Weltereignis, ein globaler Schock. Kein Kommentar liess es aus zu unterstreichen, Srebrenica sei das grösste Verbrechen auf dem europäischen Boden seit 1945. Heute jedoch, also in den ersten Julitagen 2020, erhalte ich bescheidene Nachrichten vom Verein „Journalisten helfen Journalisten“ aus München mit dem simplen Inhalt, daß eine Gruppe von Bosnierinnen und Bosniern zum Gedenken an das „Srebrenica-Massaker“ eine Gedenkveranstaltung organisiert. Bosnier eben und Mitglieder aus dem Verein, die als Helfer und Zeugen ihr Trauma nicht vergessen können.
Es fällt mir nicht ein, jetzt daraus sogenannte Lehren zu ziehen, am allerwenigstens moralische – das kann ein jeder für sich tun. Auf den Sachverhalten 'vor fünfundzwanzig Jahren und jetzt' möchte ich jedoch bestehen und sie (mir) schriftlich fixieren. Zumal jetzt, auf dem Höhepunkt der elektrisierenden Bewegung Black lives matters. Bewegt habe ich nämlich heute einen Bericht über den weltberühmten Fussballspieler Thierry Henry gelesen. In einem vollen Fussballstadion in den USA hat er sich hingekniet und ist so achteinhalb Minuten mit gesenktem Haupt verharrt. Mit ausgestreckter Faust. Achteinhalb Minuten hatte die Agonie des von der amerikanischen Polizei sadistisch ermordeten (schwarzen) Bürgers George Floyd gedauert.
Black live matters, und wie. Bosnian lives matter. Even Bosnian Muslim's lives matter!
Wenn auch 25 Jahre später, beim Gedenken an eine 'Episode', die mal Srebrenica hiess und nun nur noch ein paar Leute betrifft, privat sozusagen.
Nenad Popović, 10.7.2020.