Afghanistan_hilfe

Hilfe! Sie haben Post

Eine persönliche Innenansicht/von MARTIN GEIGER

Der Blick auf die App des Mailprogramms verrät: Sie haben 12 neue Mails. Egal ob Smartphone, Computer, Tablet – die etwas renitent wirkende Aufforderung „Lies mich“ in Form der runden roten Ziffer setzt einen doch unweigerlich unter Zugzwang. Eine Anfrage bezüglich des Jobs? Eine vergessene Rechnung? Vielleicht eine sympathische Einladung zum Essen? Oder geht es vielleicht doch um Leben und Tod?


Die Anfragen, die „Journalisten helfen Journalisten“ erreichen, werden meist über befreundete Kolleginnen und Kollegen an uns herangetragen, Hilfsanfragen erreichen uns über weltweite Kontakte oder über andere NGOs. Sie landen im „Basislager“ in München, werden geprüft, in vielen Fällen gelingt es auch schnell Hilfe zu leisten. Das zeichnet uns aus. Wir, die kleine NGO ohne große PR-Maschine, ohne verschiedene Ressorts, nach Ländern unterteilt. Nein, wir helfen schnell, direkt und möglichst unkompliziert. Das macht uns manchmal auch zum begehrten Partner der „Global Player“.
Doch jetzt ist es auf einmal anders. Mein Mailfach ist gefüllt mit Anfragen. Die Absender haben fremde Namen: Mariza, Fawad, Ahmad, Sulaiman. Ich kenne keinen der Absender, obwohl sie mir sehr viel offenbaren: Persönliches, Berufliches, Familiäres. Teilweise werden Dokumente mitgeschickt, die im Normalfall niemals ins Internet gelangen sollten, geschweige ungefragt an fremde Menschen verschickt werden sollten.


Alle haben eines gemeinsam: Sie kommen aus Afghanistan, sie hatten oder haben einen Job in den Medien und sie haben Angst um ihr Leben und das Leben ihrer Familien. Das Land war noch nie ein sicheres Feld für Journalistinnen und Journalisten. „Afghanistan ist eines der blutigsten Länder für Journalisten, ich habe viele meiner Kollegen über die Jahre verloren – 2018 wurden elf Journalisten an einem Tag ermordet, bei zwei verschiedenen Terrorattacken. Eine einzigartige blutige Geschichte“, so Samidullah Mahdi, der ein Zentrum für investigativen Journalismus in Afghanistan mitbegründet hat, in einem Interview mit der „taz“. Besonders die Bedrohungslage für Kolleginnen hat sich dramatisch verschärft. „Mein Leben und das meiner Familie sind durch die Taliban gefährdet und bedroht, weil ich als Journalistin für * (Name des Senders sind uns bekannt und werden aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht) arbeite.“ Die Bedrohung bezieht sich immer auf die gesamte Familie. Weiter schreibt sie: „Wir wurden gezwungen unser Haus zu verlassen und uns in Kabul zu verstecken.“ Vater und Bruder konnten sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen, von beiden fehlt jede Spur. Es gibt ernst zu nehmende Gerüchte, dass beide von den Taliban ermordet wurden.


Noch eines haben die Mails gemein: Sie kommen über Facebook. Die bescheidene Präsenz von JhJ wird gefunden, in den Tiefen der Daten auch meine Mailadresse. Wohlgemerkt mein Privataccount. Nach Mail Nummer 50 haben ich dort
media@journalistenhelfen.org hinterlegt. Manchmal ist das geschmähte Netzwerk vielleicht doch zu etwas gut. Vor dem großen Zapfenstreich mit dem die westlichen Mächte das Kapitel Afghanistan schließen wollten, kamen noch nie Hilfsanfragen über diesen Kanal.
Amira*, eine junge Kollegin, ausgezeichnet als „Journalist of the Year“, schreibt: „Mein Fokus lag auf Frauenrechten und ihren Themen, Frauenleben, Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz, Frauenrechte, um die Heirat von minderjährigen Mädchen zu stoppen und Sie wissen, dass diese Art von Berichterstattung und Artikeln als Tabu in Afghanistan gilt. Als Journalistin und Mitglied der afghanischen Hazara-Gemeinschaft bin ich zusammen mit meiner Familie, meinem Mann Verfolgungen ausgesetzt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mich und meine Familie mit Stolz enthaupten werden, sobald sie herausfinden, wer ich bin. Ich bitte Sie in aller Bescheidenheit, meinen Antrag zu prüfen und uns eine neue Hoffnung für unser Leben zu geben.“


Sie bittet mich in aller Bescheidenheit! Die Höflichkeit in den Zeilen schnürt mir den Hals zu. So versuche ich jede Mail auch möglichst höflich zu beantworten. Höflich zu sagen, dass wir erstmal nichts tun können. Weil JhJ zu klein sind, weil wir im vielstimmigen Chor der NGOs eine leise Stimme sind. Ich vertröste alle mit unserer Zusammenarbeit von „Reporter ohne Grenzen“.
ROG hat den direkteren Draht zur Politik und hat die Hoffnung, dass die neue Regierung die Listen der zu evakuierenden Personen wieder öffnet und sich der Verantwortung in Afghanistan stellt. Ein Hoffnungsschimmer ist auch kabulluftbruecke.de. Die NGO organisiert über eigene Kanäle Evakuierungsflüge aus Afghanistan. Erst letzte Woche gelangten so 300 Personen in Sicherheit. Viele ehemalige Ortskräfte und ihre Familien, aber auch Journalistinnen und Journalisten.


Natürlich sind wir nicht untätig. Viele im Verein nutzen ihre Kontakte. Aber angesichts der schwierigen Lage die Menschen in Sicherheit zu bringen, sind wir hilflos.
So hilflos wie die Hilfesuchenden in meinem Mailfach, denen ich erstmal nur ein „All the best“ wünschen kann. Um kurz darauf die sehr höfliche und freundliche die Antwort „Thank you Martin, for your support“ zu finden. Dann ist der Moment gekommen, wo ich mich ein wenig schäme. Bis zum nächsten Mal, wenn es heißt: Sie haben 12 neue Mails.


*Die Namen sind aus Sicherheitsgründen geändert, dem Autor bekannt

Journalisten helfen Journalisten e.V. ist ein eingetragener Verein mit Sitz in München. Die Spenden sind steuerlich absetzbar. Mit ihrer Spende unterstützen Sie in Not geratene  Journalistinnen und Journalisten und deren Familien. JhJ hat es sich zur Aufgabe gemacht, hier solidarisch zu helfen. Helfen sie uns.
Danke!

Interview mit Ruben Neugebauer, Bündnis „Luftbrücke Kabul“

Im Deutschlandfunk hat Ruben Neugebauer vom Bündnis Luftbrücke Kabul ein Interview gegeben, über die Situation in Afghanistan.

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