Nothilfe Afghanistan

Foto/Illustration: Shutterstock

Allein gelassen am Hindukusch

Nur Nothilfe ist möglich


Von HELGA MONTAG

Zuhal (Name geändert) ist gut informiert. An dem Tag; an dem die Bundesregierung ein Aufnahmeprogramm für gefährdete AfghanInnen veröffentlicht hat, schreibt sie mir eine WhatsApp. Sie hat Freunde in Deutschland und hofft, nun ein Visum zu bekommen. Zuhal hat Krebs. JhJ hat ihre Behandlung finanziell unterstützt. Zuhals Lebenslauf ist beeindruckend. Sie ist hochqualifiziert, hat einen Bachelor vorzuweisen und viel journalistische Erfahrung. Seit 2014 hat die junge Frau aus Kabul als Reporterin und Redakteurin gearbeitet, sie hat Radiosendungen geplant, Texte redigiert, Talks moderiert. Später hat sie für die Regierung Pressearbeit gemacht und sich im Friedensprozess engagiert. Als die Taliban die Macht übernahmen, geriet sie Lebensgefahr. Ihr gelang die Flucht ins Nachbarland Pakistan. Wie sie dort überleben soll, weiß sie allerdings nicht.

Doch die Bundesregierung definiert als Zielgruppe ihres Programms „Afghanen in Afghanistan“. Keine Chance also für Zuhal, die flüchten konnte. Die Enttäuschung ist groß. Zuhal überlegt spontan, nach Afghanistan zurückzukehren, nur damit sie eine Chance bekommt, nach Deutschland zu kommen. Ich bitte sie dringend, vorerst nichts zu unternehmen, die Hilferufe aus Afghanistan gehen in die Tausende.
Keiner weiß, ob neue Anträge Erfolg haben werden, denn die alten sind noch nicht abgearbeitet. Noch ist auch unklar, wie gefährdete Frauenrechtlerinnen und Menschenrechtsaktivisten aus Afghanistan rausgeholt werden sollen.

Zuhal ist nicht die einzige Journalistin, die unter prekären Bedingungen, ohne Aufenthaltsgenehmigung und Unterstützung, in einem Nachbarland zu überleben versucht. Im Iran fanden einige Zuflucht. Die meisten Mails von Geflüchteten erreichen JhJ aber aus Pakistan. Fast alle stammen von Frauen - hin und wieder auch Männern- , die eine gute Ausbildung und qualifizierte Jobs hatten, die sich exponiert hatten und verstecken mussten vor den Nachstellungen der Taliban. Um ihr Leben zu retten, flohen sie schließlich aus dem Land, in dem sie sich für Menschenrechte und Demokratie engagiert hatten.

Sie alle dokumentieren minutiös ihren Werdegang, ihre berufliche Laufbahn, ihre Leistungen, ihre Arbeit für die afghanische Zivilgesellschaft. Sie schicken Bilder von ihren Familien. Manchmal bekomme ich auch Fotos, die ich nur schwer ertragen kann, wie die von Zahra (Name geändert), die zeigen, welche Spuren die Folterungen durch die Taliban hinterlassen haben. Auch sie berichtet, dass sie inzwischen nach Pakistan flüchten konnte und hofft darauf, von Deutschland oder einem anderen sicheren Land aufgenommen zu werden. Sie hat Angst, dass der lange Arm der Taliban sie auch im Exil erreicht und fürchtet den pakistanischen Geheimdienst ISI, der mit den neuen Herrschern in Afghanistan paktiert. Sie hatte bei Reporter sans Frontieres um Hilfe nachgefragt und sich schon in ein Antragsformular eingetragen, als drei Tage später das deutsche Programm herauskam, das Menschen, die schon in Drittländer geflüchtet waren, keine Chance mehr gibt. Zahra hofft auf ein resettlement. Doch dass Deutschland sie aufnimmt, hofft sie vermutlich vergebens. Bleibt nur das UNHCR, doch da sind die Wartezeiten lang und die sechsköpfige Familie muss inzwischen überleben.

Noch einmal zurück zu Zuhal. Ich kenne sie über WhatsApp inzwischen schon seit ein paar Monaten. JhJ hat ihre erste Behandlung bezahlt. Jetzt sind weitere teure Medikamente notwendig. Wahrscheinlich mehrfach, wie eine befreundete Ärztin bestätigt. In Deutschland wäre das alles einfacher. Aber für Afghaninnen, die aus Afghanistan flüchten konnten, gibt es keine Einreisemöglichkeit. JhJ beschließt, das zu tun, was möglich ist. Das Geld für die Medikamente überbringt der Freund aus Deutschland. Später wollen wir weitersehen und Spender suchen.

Ich könnte Ihnen noch von anderen jungen Frauen erzählen, zum Beispiel von Dunya (Name geändert). Auch sie lebt derzeit in großer Not im Exil in Pakistan. Sie hat eine Hilfszusage einer Internationalen Journalistenorganisation, doch auf das Visum muss sie sechs Monate warten. Sie hat gerade ein Baby bekommen. Jetzt weiß sie nicht, wie sie sich und ihren kleinen Sohn durchbringen soll. Ich könngte von der Filmemacherin erzählen, die für regionale, nationale und internationale Medien gearbeitet hat. Sie konnte die Krebsbehandlung ihrer Tochter nicht mehr bezahlen. Nach deren Tod ist sie verschuldet und hat Angst um ihre anderen Kinder, für die sie nicht ausreichend sorgen kann.

Drei junge Frauen, drei Afghaninnen, die nicht mehr in Afghanistan leben. Drei junge Frauen, die sich im Journalismus und in der Zivilgesellschaft engagiert haben, und die jetzt in Armut und Unsicherheit leben. Drei Frauen, denen das Aufnahmeprogramm der Bundesregierung nicht hilft. Drei Beispiele für viele Menschen, die derzeit in Pakistan und in Afghanistan in der Falle sitzen.

Die Möglichkeiten unseres Vereins Journalisten helfen Journalisten sind begrenzt, wir werden allein aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert. Wir versuchen dort zu helfen, wo es möglich ist. Das heißt: Afghaninnen und Afghanen, die geflüchtet sind und in Nachbarländern unter schwierigen Verhältnissen und ohne Perspektive überleben müssen, zu unterstützen. Wir kommen dabei immer wieder an unsere Grenzen, weil uns so viele Hilferufe erreichen. Nur in seltensten Fällen, gelingt es Helfern, für akut gefährdete Frauen und ihre Familien eine Einreisemöglichkeit nach Deutschland zu bekommen. Resettlement kann unser ehrenamtlich tätiger Verein nicht organisieren. Wir können aber im Einzelfall schnell und unbürokratisch wenigstens durch finanzielle Unterstützung helfen. Das haben wir uns vorgenommen, das versuchen wir, aber auch dafür brauchen wir ausreichend Spenden.

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