Judith Raupp/Kongo/Ebola

JhJ weltweit

Judith Raupp (Mitglied bei JhJ) berichtet aus dem Kongo

Kongo: Ebola, Corona und dann Artikel 15


In wenigen Tagen wird die Regierung der Demokratischen Republik Kongo voraussichtlich das Ende der Ebola-Epidemie erklären. Die Seuche hat nach einem Jahr und acht Monaten im Osten des Landes 2273 Menschen das Leben gekostet. Kaum ist diese Gefahr gebannt, müssen sich die Kongolesen auf neues Unheil einstellen: Das Coronavirus, das gerade Europa in Panik versetzt, verbreitet sich auch in Afrika.

Als die Ebola-Epidemie begann, sind sofort Heerscharen von Helfern in den Ostkongo gezogen. Das geschah nicht allein aus Empathie. Vielmehr wollte die Staatengemeinschaft verhindern, dass daraus eine Pandemie würde. Sie hätte den Wohlstand auch in westlichen Ländern gefährden können, wie die Corona-Krise gerade beweist.

Die internationalen Helfer scherten sich anfangs wenig um die Befindlichkeit der traumatisierten Bevölkerung. In der Region morden, plündern und vergewaltigen Milizen seit Jahren, ohne dass die Armee oder die weltgrößte Friedensmission der Vereinten Nationen sie stoppen könnten. Die Gewalt hinterlässt Spuren in der Gesellschaft. Wer mit den Leuten arbeiten will, auch mit Journalisten zum Beispiel, braucht Fingerspitzengefühl.
Die angereisten Experten beherrschten aber nicht einmal die lokale Sprache, als sie über Ebola aufklären sollten. Ohne Rücksicht auf Traditionen und ohne für Einheimische verständliche Erklärung wurden Tote den Familien entrissen. Die Wesen in Schutzkleidung, die ihre Lieben fort trugen, kamen den Hinterbliebenen wie bedrohliche Außerirdische vor.

Abgesehen davon ging es auch ums Geschäft. Die Helfer verdienten ein Vielfaches der lokalen Bevölkerung. Sie akzeptierten völlig überzogene Mieten für Hotels, Wohnungen und Autos, was die Preise emporschnellen ließ. Manche Helfer warfen in Bars mit Geld um sich und weckten so Begehrlichkeiten. Kein Wunder wollten viele Kongolesen, die in einem der ärmsten Länder der Welt wohnen, als Fahrer, Sanitäter, Übersetzer oder Reinigungskraft einen Teil des Kuchens abbekommen. Wer einen Job ergatterte, zog die Eifersucht anderer auf sich. Einzelne wurden aus purem Neid umgebracht.
In dieser desolaten Situation sollten die Radios einspringen, was zunächst eher leidlich gelang. Hilfsorganisationen bezahlten nur einige Sender, damit sie Aufklärungsspots über Ebola ausstrahlten. Manche Redaktionen, die nicht zum Zuge kamen, ließen sich aus Trotz von Hetzern ködern, die Falschinformationen über Ebola verbreiteten. Ein Journalist aus der Region sprach von einer „regelrechten Medienschlacht“. Sie war gefährlich, denn ein Viertel der Bevölkerung glaubte damals nicht, dass Ebola wirklich existiert. Das Virus sei eine Erfindung der Weißen, um hochbezahlten Experten im Kongo Jobs zu garantieren.

Die Ebola-Epidemie zeigte auf erschreckende Weise das Defizit der kongolesischen Medien. Viele Journalisten haben eine schlechte oder gar keine Ausbildung genossen. Selbständiges, kritisches Denken lernen junge Menschen im Kongo nicht. Jene, die es trotzdem wagen, werden vom Vater, vom Lehrer, vom Chef oder vom Universitätsprofessor eher bestraft als ermutigt. So führen viele Journalisten einfach nur aus, was ihnen jemand aufträgt, sei es eine Hilfsorganisation, oder eben jemand mit unlauteren Absichten.
Es kommt noch hinzu, dass die meisten Journalisten schlecht oder gar nicht bezahlt sind. So sind sie anfällig für Korruption. Wer ihnen Geld oder andere Vorteile gewährt, dessen Botschaft senden sie.
Dass die Epidemie so schwierig zu beenden war, lag auch am mangelnden Vertrauen der Bevölkerung in die eigene Regierung und in die internationalen Helfer. Viele Menschen im Ostkongo leben in Armut, sind Korruption und Willkür ausgesetzt und sehen seit Jahrzehnten nicht, dass es besser würde. Sie fühlen sich von der Regierung allein gelassen, und von den Hilfsorganisationen sind sie enttäuscht. Ebola konnte trotz der Vertrauenskrise beendet werden, weil zwei neue Impfstoffe und ein Medikament eingeführt wurden, so dass viele Patienten geheilt wurden.

Gegen die Covid-19-Krankheit gibt es derzeit noch kein Mittel. Außerdem ist es fraglich, ob der Kongo und andere arme Länder Hilfe in größerem Ausmaß bekommen. Denn die Staatengemeinschaft ist mit sich selbst beschäftigt, und die Corona-Seuche grassiert ohnehin schon in den westlichen Ländern, kann also im Moment nicht mehr von Afrika infiziert werden.
Für die Journalisten im Kongo bedeutet das Virus eine zusätzliche Gefahr, weil sie nicht die Mittel haben, um sich zu schützen. Manchen Redaktionen fehlt sogar das Geld für die Seife zum Hände Waschen.

Die Corona-Krise wird irgendwann vorbei sein. Westliche Staaten werden ihren Unternehmen und Bürgern unter die Arme greifen. Und im Kongo? Dafür gibt es im Land einen eigenen Ausdruck, seit Diktator Mobutu Sese Seko den Soldaten, die er nicht mehr bezahlen konnte, empfahl „débrouillez-vous“ (schlagt euch durch). Die Soldaten hätten schließlich eine Waffe zur Hand. Die Bevölkerung nennt diese Methode, nach der man sich rücksichtslos durchs Leben kämpft,  „Artikel 15“. Auch viele Journalisten haben dieses Gesetz verinnerlicht. Es galt vor Ebola und Corona. Und auch danach wird es gelten.

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